Friedhöfe in Wolfenbüttel (4 – UFG)

Ergänzend zur Ur- und Frühgeschichte

von Lothar Jungeblut

Dank an Peter Heinemeyer für seine Zustimmung, dass ich hier gewissermaßen als „Trittbrettfahrer“ ein paar ur- und frühgeschichtliche Bemerkungen hinzufügen darf.

Der frühchristliche Friedhof „am Exer“ – Das „spätgermanische“ Urnengräberfeld unter dem heutigen Hauptfriedhof von Wolfenbüttel – Der Tumulus von Groß Stöckheim

Der frühchristliche Friedhof „am Exer“

Im Zuge von Erdarbeiten bei der Kaserne im Norden des Wolfenbütteler Stadtgebietes traten 1936 alte Gräber zu Tage. Der archäologische Konservator (hauptberuflich Zeichenlehrer) des städtischen Museums Braunschweig Otto Krone unternahm hier eine Ausgrabung, die wir heute als „Notgrabung“ bezeichnen würden. Peter Heinemeyer hat in der Einleitung seines Beitrags auf diesen Seiten den dabei mit den damaligen Mitteln und unter den damaligen Umständen dokumentierten Friedhof zurecht als „ältesten nachgewiesenen Friedhof“ auf dem Stadtgebiet der Kernstadt von Wolfenbüttel bezeichnet – im Sinne seines Betrachtungszeitraumes. Die Befunde dieses Friedhofs – wie schlecht auch immer die Dokumentationslage ist – könnte man an den jüngeren Ausgrabungen an Friedhöfen in Werla-Burgdorf und Gevensleben prüfen. Diese gehören der gleichen Epoche an, einer überaus spannenden Zeit, was den Wechsel von Bestattungsriten in Zusammenhang mit einem allgemeinen Religionswechsel angeht.
Irgendwann in den Jahrzehnten um 800 nach Chr. wurde auch unsere Region endgültig und nachhaltig christianisiert. Abgesehen von dünnen und zum Teil fragwürdigen Schriftquellen spiegelt sich dies vielleicht am ehesten in dem durch archäologische Untersuchungen erschlossenen Wechsel der Bestattungsriten. Die Gräber des frühgeschichtlichen Friedhofs „am Exer“ sind so angelegt, dass (bei gestreckter Rückenlage) jeweils der Kopf des Toten im Westen, die Füße im Osten lagen. Hier kann man die frühchristliche Idee heranziehen, dass die Toten am Tag des „jüngsten Gerichts“ auferstehen würden, und dass sie dann nach Osten blicken würden. Dort läge das „himmlische Jerusalem“. (Geographisch liegt der Ort Jerusalem natürlich aus norddeutscher Perspektive im Süden, nicht im Osten. Aber so darf man hier nicht argumentieren.) Interessanter Weise stellte ich neulich auf dem aktuellen Friedhof meines Heimatdorfes, der kaum 150 Jahre alt ist, fest, dass alle älteren Gräber auch genau so ausgerichtet sind.

Vergleicht man die wenigen überlieferten Daten des Friedhofes „am Exer“ mit anderen, zeitgleichen Friedhöfen, dann handelt es sich hier um einen Bestattungsplatz einer schon voll christianisierten, einfachen Landbevölkerung nach 800 n. Chr.. Herausragende Gräber, wie Grab 61 in Gevensleben, sind nicht dokumentiert. Vielleicht sind sie aber auch unerkannt zerstört worden, oder aber sie ruhen noch in der Erde.
Zu diesem Friedhof liegen mir zwar verschiedene Grabungs- und Fundzeichnungen vor, es wäre aber zu aufwändig, die Rechte für die Verwendung auf der FABL-Webseite zu klären. Deshalb sei auf die unten angeführte Literatur verwiesen.

Der „spätgermanische“ Urnenfriedhof – am Platz des heutigen Hauptfriedhofs

Der heutige Hauptfriedhof wurde 1878 (siehe Teil 2) kurioser Weise an einem Ort neu eingerichtet, an dem sich schon über 1500 Jahre früher ein Friedhof befand. Der Wolfenbütteler Lehrer und Archäologie-Pionier Theodor Voges widmete dieser Tatsache eine der Geschichten in seinem Lesebuch „Aus der Heidenzeit des braunschweigischen Landes“, gerichtet an Lehrer und Schüler des frühen 20. Jahrhunderts. Der Text ist mittlerweile gemeinfrei und wird hier im Original Schriftbild wiedergegeben:

Die jüngste wissenschaftliche Behandlung dieses archäologischen Fundplatzes erfolgte in der grundlegenden Arbeit von Frau Dr. Babette Ludowici „Frühgeschichtliche Grabfunde zwischen Harz und Aller“ 2005. Hier werden im Katalogteil 28 Urnengräber erwähnt, allesamt Altfunde, die nach den vorliegenden Unterlagen in das 3. bis 6. Jahrhundert nach Christus datieren.
Die Urnengräberfelder dieser Epoche umfassen aber normalerweise hunderte oder gar tausende von Gräbern – über mehrere Generationen angelegt. Das eindrucksvollste, bisher leider noch nicht ernsthaft bearbeitete/publizierte Beispiel ist hier das Urnengräberfeld „am Thiedebach“ (Braunschweig Rüningen) mit geschätzt 6000 Bestattungen, wovon über 1500 bei jüngeren Ausgrabungen dokumentiert sind. Das ist kaum 6 Kilometer Luftlinie entfernt.

Vom Fundplatz „Wolfenbüttel Hauptfriedhof“ sind keine jüngeren Funde oder Beobachtungen bekannt. Bei einer Eintiefung der Urnengräber von 60 cm bis 110 cm unter heutiger Oberfläche sind möglicher Weise hunderte Gräber unbeobachtet zerstört worden.

Als ehrenamtlicher archäologischer Denkmalpfleger bin ich für den Landkreis, nicht aber für das Stadtgebiet von Wolfenbüttel zuständig. Dennoch: Sollte irgendeine Leserin oder ein Leser hier Beobachtungen machen, teile sie oder er mir dies gerne mit.

Der Tumulus von Groß Stöckheim

Im Zusammenhang mit den Friedhöfen auf dem Wolfenbütteler Stadtgebiet sei noch ein besonderes Grabmal erwähnt, auch wenn es wenige hundert Meter außerhalb des Gebietes der Kernstadt liegt: Der Tumulus von Groß Stöckheim.

Dieser 2,80 Meter hohe und 18 Meter durchmessende eindeutig künstliche Hügel wird zu den Großgrabhügeln unserer Region gerechnet, den sogenannten „Hochs“. Er ist ein eingetragenes archäologisches Denkmal (FstNr. 1), ist aber nie archäologisch untersucht worden. Dies trifft allerdings auch auf die anderen „Hochs“ (Tumulus von Evessen, Hohberg von Bornum, Meescheberg von Klein Vahlberg, Muspott bei Eilum) zu. Allein der Galgenberg von Klein Vahlberg wurde systematisch untersucht – vor mehr als 100 Jahren. Dieser stellte sich dann aber spektakulär als ein über Jahrtausende immer wieder genutzter und erhöhter Grabhügel heraus.
Im Gebiet von Groß Stöckheim soll es weitere Grabhügel gegeben haben. Ralf Busch wollte in dem Faltblatt „Vorgeschichtliche Grabhügel zwischen Elm und Asse“ die Möglichkeit nicht ausschließen, dass sich hier tatsächlich einst ein größeres Hügelgräberfeld befand.





So ist übrigens der etwa 400 Meter südlich gelegene Hügel auf einem Spielplatz in Groß Stöckheim ebenfalls ein registriertes archäologisches Denkmal (FstNr. 2), wahrscheinlich Rest eines Grabhügels. Hier sollen bei Erdarbeiten 1974 vorgeschichtliche Funde gemacht worden sein (laut Denkmaldatenbank: Tongefäßscherben, z.T. verziert; 1 Abschlagschaber mit Hohlretusche; 1 Bronzefibel -Imitation?).













Am Ende dieses, hoffentlich nicht als zu „morbide“ empfundenen Beitrags (Gräber, Grabmale und Friedhöfe sind unbestritten wichtige archäologische und kulturhistorische Quellen), ein Foto, das als Kommentar zur heutigen Bestattungskultur für sich selbst spricht. Nicht aus Wolfenbüttel – aber dort wird es so etwas auch geben. An den Pyramiden von Gizeh oder den Lübbensteinen bei Helmstedt ist kein solcher Aufkleber. Andererseits: Auch neuzeitliche Grabstätten können zu geschützten Denkmälern erklärt werden.













Quellen und Referenzen:

Fotos: © Lothar Jungeblut 2020.
Textbild Theodor Voges 1910: – gemeinfrei –

Theodor Voges: Aus der Heidenzeit des braunschweigischen Landes, Braunschweig 1910. (Hier – gemeinfrei – im Originaldruckbild wiedergegeben: „Der Urnenfriedhof von Wolfenbüttel“, S. 33-35.)

Ralf Busch (et alii): Frühgeschichtliche Funde aus dem Braunschweiger Land (Veröffentlichungen des Braunschweigischen Landesmuseums 6), Göttingen 1976. (Besonders: „Wolfenbüttel – Reihengräberfriedhof aus karolingischer Zeit“, S. 52ff.)

Ralf Busch: Vorgeschichtliche Grabhügel zwischen Elm und Asse (12seitiges Faltblatt des Braunschweigischen Landesmuseums), Wolfenbüttel 1981.

Otto Matthias Wilbertz: Die Erfassung von archäologischen Kulturdenkmalen im Landkreis Wolfenbüttel (Veröffentlichungen des Braunschweigischen Landesmuseums 39, Sonderdruck aus dem Heimatbuch für den Landkreis Wolfenbüttel 1984 ohne Seitennummerierung), Braunschweig 1983.

Wolf-Dieter Steinmetz (et alii): Das Braunschweiger Land (Führer zu den archäologischen Denkmälern in Deutschland 34), Stuttgart 1997. (Besonders: Beiträge zu den Großgrabhügeln von Evessen, Eilum, Klein Vahlberg, S. 303-313.)

Wolf-Dieter Steinmetz (et alii): Schöningen und Ohrum – Ostfalen im 8. Jahrhundert – Merowinger und Karolinger zwischen Harz und Heide, lsenkirchen / Schwelm 1998.

Babette Ludowici: Frühgeschichtliche Grabfunde zwischen Harz und Aller – Die Entwicklung der Bestattungssitten im südöstlichen Niedersachsen von der jüngeren römischen Kaiserzeit bis zur Karolingerzeit, Rahden / Westf. 2005. (Besonders: S.44, S. 131ff, 205f, Tafeln 66-68.)

Markus C. Blaich: Werla 2 – Die Menschen von Werla-Burgdorf – ein Beitrag zur Geschichte des Nordharzvorlandes im 8. bis 10. Jahrhundert (Monographien des Römisch-Germanischen Zentralmuseums 114), Mainz 2013.

Immo Heske (et alii): Das Gräberfeld von Gevensleben – Menschen im Braunschweiger Land zwischen 750 und 1150 n. Chr. (Wegweiser zur Vor- und Frühgeschichte Niedersachsens 31), Oldenburg 2018.

Babette Ludowici (Hrsg.): Saxones (Begleitband zur Landesausstellung – zugleich: Neue Studien zur Sachsenforschung 7), Darmstadt 2019. („Aufhänger“ bei sieben von zehn Kapiteln sind archäologisch gut dokumentierte, herausragende, frühgeschichtliche Gräber aus Norddeutschland.)

ADABweb – Fachinformationssystem der Niedersächsischen Denkmalpflege. Abrufdatum 03.05.2020, IDs: 28954168, 28954164, 28954417, 28973612.

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