Vergessene Friedhöfe in Salzgitter

von Peter Heinemeyer

Salzgitter war vor 1930 ein ländlich geprägter Siedlungsraum mit vielen kleinen Dörfern zwischen Goslar, Hildesheim, Braunschweig und Wolfenbüttel. Die Planung und der Bau der Reichswerke AG für Erzbergbau und Eisenhütten „Hermann Göring“ (Reichswerke Hermann Göring) zwischen Goslar, Wolfenbüttel und Braunschweig veränderte plötzlich alles: Diese Region wurde damals zu einer der größten Baustellen Europas. Viele landwirtschaftliche Betriebe wurden in das Gebiet von Hannover umgesiedelt.
Im Zuge dieser einschneidenden strukturellen Maßnahmen verloren viele der heute zu Salzgitter gehörenden Siedlungen ihre „Seele“. Die alten Bauernschaften verschwanden und tausende Arbeiter zogen in die Region. Straßen, Schienen, Arbeitersiedlungen und Industriegebäude prägten fortan die Dörfer rund um die ehemaligen „Reichswerke Hermann Göring“. Ganz nebenbei „verschwanden“ auch einige alte Friedhöfe. So fielen mindestens drei Friedhöfe der damaligen Raumbedarfsplanung zum Opfer. Dies gilt für den Friedhof „am Zollbrett“ in Hallendorf, für zwei Friedhöfe in Steterburg und indirekt auch für den „Andreas-Friedhof“ in Nortenhof bei Üfingen.

Friedhof „am Renzelberg“ in Salder

Salder, Karte aus dem 19. JH (Klicken zum Vergrößern)

Der ehemalige „Friedhof am Renzelberg“ befindet sich direkt an der „Autobahn 39“ am westlichen Ortsausgang von Salder auf der Straße „Vor dem Dorfe“. Er wurde 1840 auf einem Grundstück der ehemaligen Domäne angelegt, weil der Kirchhof in den 1830er Jahren bereits überbelegt war. Schon um 1880 war dieser neue Friedhof bereits wieder zu klein. Die umliegenden Grundstücke waren alle verkauft, so dass er nicht mehr erweitert werden konnte. Seit 1883 fanden auf ihm keine Begräbnisse mehr statt. Man legte wieder einen neuen Friedhof an, der sich heute an der „Dammstraße“, Ecke „Mindener Straße“ befindet. 1949 wurde der Friedhof am Renzelberg an seiner Ostseite überbaut. Auf damaligen Luftaufnahmen konnte man schon nicht mehr erkennen, dass hier einst ein Friedhofsgrundstück gewesen ist. 1960 wurde die „Bundesstraße 490“ als Vorgänger der heutigen „Autobahn 39“ entlang Salders damaligem Ortsrand gebaut. Dadurch wurde die Straße „Vor dem Dorfe“ um 100 Meter nach Süden verschwenkt, so dass sie seitdem direkt über das ehemalige Friedhofsgrundstück führt.

Auszug aus dem Heimatbuch: „Im Jahre 1831 wurde in Salder die Notwendigkeit festgestellt, den neben der Kirche in Salder, und fast mitten im Dorfe gelegenen alten Begräbnisplatz wegen Überfüllung mit Leichen zu schließen und einen neuen Begräbnisplatz anzulegen. Der einzige dafür geeignete Platz außerhalb des Dorfes war der so genannte „Renzelberg“, ein am Weg nach Lebenstedt gelegenes Ackerstück von einem Morgen und 41 Ruthen Größe, das der Domäne gehörte […] konnte das Amt Salder mitteilen, dass am 10. Juli 1840 der so genannte „Renzelberg“ von der Domäne Salder der Gemeinde Salder förmlich übergeben worden war.“

Friedhof „am Zollbrett“ in Hallendorf

Dieser ehemalige Friedhof (errichtet 1866) westlich der „Kanalstraße“ in der Verlängerung der Straße „Am Zollbrett“ nach Bleckenstedt ist heute nicht mehr zu erkennen. Sein Areal ist vollständig zu Ackerland geworden. Auf seiner südöstlichen Fläche steht ein Hochspannungsmast.

Der Friedhof wurde seit 1938 nicht mehr belegt, weil damals die Planung für einen Stichkanal erfolgte, der von Wendeburg bis nach Hallendorf führen sollte, um die Versorgung der ehemaligen „Reichswerke Hermann Göring“ sicherzustellen. Parallel hierzu sind auch die Ländereien der gesamten Hallendorfer Bauernschaft enteignet worden. Bis 1942 wurden die noch vorhandenen Gräber, deren Pacht nicht abgelaufen war, in den damals neuen „Friedhof Westerholz“ am „Papenstieg“ umgebettet. Dort wurden auch die 857 verstorbenen Gefangenen und Zwangsarbeiter aus dem „Arbeitserziehungslager 21“, das ebenfalls im „Westerholz“ lag, beerdigt. Wegen des hohen Grundwasserspiegels musste jener Friedhof jedoch 1955 für Körperbestattungen aufgegeben werden und ist jetzt eine Gedenkstätte. Bis in die 1960er Jahre fanden noch vereinzelte Urnenbeisetzungen statt. Auf ihm stehen noch einige alte Grabsteine, die vom ehemaligen Hallendorfer Friedhof „Am Zollbrett“ stammen.<

Auszug aus dem Heimatbuch: „Der erste Verstorbene, der auf diesem Friedhofe seine letzte Ruhe fand, war der am 20. Juli 1866 verstorbene Halbkothsaß und Tischler Ludwig Gent.“

Alter Friedhof in Bleckenstedt

Karte um 1802 (Klicken zum Vergrößern)

Am südlichen Ortsausgang von Bleckenstedt in der ehemaligen Flur „Wanne Winterfeld“ liegt rechts, direkt vor der Kleingartenanlage eine Grünfläche, die unverkennbar ein Friedhof gewesen ist. Dieser Friedhof ist bis heute nicht entwidmet. Auf einer Karte von 1802 ist er noch nicht eingezeichnet. Das letzte Begräbnis stammt aus den 1950er Jahren. Seit einigen Jahren wird das Grundstück zu einer Parklandschaft mit Bänken und erhaltenswerten Grabsteinen aus der Zeit vom Ende des 19ten und Beginn des 20ten Jahrhunderts umgestaltet. Das Grundstück wird derzeit von der Kirchengemeinde Bleckenstedt gepflegt.

Grabmal in Bleckenstedt (Klicken zum Vergrößern)

Stiftsfriedhof in Steterburg

Das Bauerndorf Steterburg hatte sich in den 1930er Jahren völlig verändert. Das einstige Damenstift mit seinen Klostergütern verlor damals komplett seine Bedeutung und ist an die Liegenschaftsverwaltung der ehemaligen „Reichswerke Hermann Göring“ übergegangen. Der Ort Steterburg vergrößerte sich, weil neue Arbeitersiedlungen gebaut wurden. Das Stiftsgebäude diente als Unterkunft für die Betriebsleitung der „ Reichswerke Hermann Göring “. In diesem Zusammenhang wurde auch die Äbtissinnen-Gruft der Klosterkirche zu einem Luftschutzkeller umgebaut. Der betonierte Eingang zum Luftschutzkeller befindet sich an der Ostfassade der Kirche.

Der südlich vom Stiftsgebäude liegende Friedhof wurde kurz vor 1770 eingeweiht. Auf ihm liegen die ehemaligen Bewohnerinnen und die Bediensteten des Stifts. Vor 1770 wurden diese auf dem „Andreasfriedhof“ (s. Andreasfriedhof) in Nortenhof (Üfigen) beigesetzt.

1938 gab man den Stiftsfriedhof auf. Heute ist dieses Areal nur noch an Hand seines alten Baumbestands und der verbliebenen Zaunpfähle aus rotem Sandstein als ehemaliger Friedhof zu erkennen. In den 1960er Jahren plante man, etwas weiter südlich davon wieder einen neuen Friedhof anzulegen. Diese Planung wurde nie umgesetzt.

Friedhof „am Schäferberg“ in Thiede

Am Fuße des „Schäferbergs“ gab es auf den Karten des 18. Jahrhunderts einen Friedhof für die Knechte, Angestellten und Angehörigen des Klosterguts Steterburg. Auf diesem Gelände befindet sich heute ein Kinderspielplatz. Er ist umbaut von den in den 1930er Jahren errichteten Arbeitersiedlungen für die „Reichswerke Hermann Göring“ (Fläche zwischen der „Breslauer Straße“, „Am Sternkamp“ und „Schäferstieg“). Bis 1938 stand auf ihm noch eine kleine Kapelle. Die letzten Grabsteine standen noch bis in die 1970er Jahre. Dass sich dort einst ein Friedhof befand, ist nur noch an Hand des alten Baumbestands zu erkennen.

Karte von 1763
Rechts im Foto von ca. 1938: Die alte Kapelle

Andreasfriedhof“ in Nortenhof

Am westlichen Kanalufer in der Nähe der Brücke der Landsstraße 615, am ehemaligen Weg nach Geitelde/Stiddien/Groß Gleidingen und an der Zufahrt zum DLRG-Klubheim befindet sich linker Hand ein kleiner Wald. Dieser Wald war einst der „Andreasfriedhof“ von Nortenhof. Nortenhof gehört heute zu Üfingen. Es existieren keine historischen Unterlagen mehr darüber, wann er einst angelegt wurde. Der Name „Andreas“ deutet auf die Zugehörigkeit zu einer Kirche oder Kapelle mit gleichlautendem Patronatsnamen hin. Es ist jedoch nicht mehr nachvollziehbar, wo diese einst stand. Wahrscheinlich gab es sie aber noch bis zum Jahr 1700. Man nimmt dies an, weil in Nortenhof die kirchlichen Amtshandlungen (Taufen, Trauungen usw.) erst nach 1700 von der benachbarten Üfinger Kirche ausgeführt wurden. Bis 1770 begrub man noch die verstorbenen Stiftsangehörigen aus Steterburg auf diesem Friedhof (s. Stiftsfriedhof in Steterburg). Der Friedhof befindet sich seit 1938 in der Liegenschaftsverwaltung der Rechtsnachfolger der ehemaligen „Reichswerke Hermann Göring“ und ist seit 2005 im Besitz der Niedersächsischen Landgesellschaft (NLG). Die letzte Beerdigung erfolgte 1947. 1977 wurde der Friedhof entwidmet und sollte aufgelassen und verkauft werden. Es fand sich bis heute kein Käufer. Drei der alten Grabsteine dieses Friedhofs stehen heute an der südlichen Außenwand der Üfinger Kirche. Am ehemaligen Eingang auf der Südseite des Friedhofs gibt es noch einige rote Sandsteinpfosten. Auf dem Areal befinden sich einige zugewachsene Grabsteine. Der Baumbestand ist teilweise über 100 Jahre alt.

Friedhof „Spritzenstraße“ in Üfingen

Dieser Friedhof lag östlich des heutigen Friedhofs an der Ecke „Pumpenburg“ und „Spritzenstraße“. Über ihn gibt es kaum historische Unterlagen. Er diente als Entlastungsfriedhof für den alten Üfinger Kirchhof. Man weiß nur, dass auf ihm 1911 die letzte Beisetzung erfolgte. Möglicherweise konnte er danach nicht mehr erweitert werden, weil die benachbarten Grundstücke bereits verkauft waren. Spätere Bestattungen erfolgten ab 1911 auf dem westlich hiervon angelegten neuen Friedhof. In den 1920er Jahren wollte ein Lehrer der ehemals benachbarten Schule ihn zu einem Obstgarten umwidmen. Dies stieß bei der Dorfbevölkerung jedoch auf Ablehnung. Die Häuser, die jetzt auf dem Gelände stehen, stammen aus den 1960er Jahren. Zuvor stand auf ihm eine Kindergarten-Baracke in Holzbauweise.

Übersichtskarte

Kartengrundlage © OpenStreetMap-Mitwirkende, www.openstreetmap.org, Kartographie gemäß CC BY-SA lizensiert. Bearbeitung: Georg Harbig. (Klicken zum Vergrößern)

Quellen und Referenzen:

Kolorierte Zeichnung, Foto und Lageskizzen © Peter Heinemeyer 2020.
Historische Karten und Foto Kapelle Schäferberg Steterburg (hier dennoch Dank an Steterburg.de und Fam. Adler) gemeinfrei.

Besonderer Dank gilt folgenden hilfsbereiten Personen und Datenquellen, die diese Zusammenstellung durch wertvolle Informationen und Hinweise bereichert haben: Prof. Dr. P. Glogner (Üfingen und Nortenhof), H. Alder und R. Adler (Thiede u. Steterburg), H. Dettmer (Bleckenstedt), K.-D. Karrasch und Fr. Unger (Hallendorf), Fr. R. Vanis (Salder) und Jahreshefte der „Braunschweigischen Heimat“.

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