Isingerode Forschungen Newsletter 2 (Teil 1)

Aufregende Scherben: Lappenschalen und Reliefband

(Teil 1)
von Wolf-Dieter Steinmetz.

Die mit Abstand umfangreichste Fundgruppe auf der „Schwedenschanze“ von Isingerode stellen die Reste von Tongefäßen, meistens nur noch als Scherben, bisweilen noch als größere Fragmente, nur in seltenen Ausnahmefällen auch mal ganz oder zumindest als komplett rekonstruierbare Gefäße erhalten. Die weit überwiegende Anzahl der Scherben, aus der Wandung stammend und unverziert, ohne besondere Merkmale, ist dabei wenig aussagefähig.
Eine kleinere Anzahl der gefundenen Keramiken trägt aber markante Merkmale. Scherben aus dem Gefäßrand oder der Schulter mit einer typischen Formgebung, besondere Verzierungsmuster oder -techniken, auch angewandte Keramiktechnologien ermöglichen Datierungen, wirtschaftliche und soziale Aussagen, bisweilen geben sie sogar Auskunft über Fernbeziehungen und religiöses Verhalten. Dabei beziehen sich diese historischen Aussagen nicht nur auf die Objekte selbst, sondern auch auf die Fundschichten, in denen sie gefunden wurden.

Vielfach werden die Merkmale schon auf der Ausgrabung direkt nach deren Freilegung von den geschulten Mitgliedern des Grabungsteams erkannt und können im Idealfall vom Facharchäologen auch sofort historisch angesprochen werden. Ebenso häufig aber verhindert die schlechte Erhaltung und/oder die Verschmutzung das Erkennen relevanter Merkmale, die dann erst während der technischen Aufarbeitung zutage treten.

► Lappenschalen
► Reliefband-Verzierung
► Funde aus Isingerode (Katalogteil)
► Historische Auswertung 1: Verbreitung und kulturelles Umfeld
► Historische Auswertung 2: Datierung
► Historische Auswertung 3: Mensch und Funktion
► Abschließende Bemerkungen
► Literatur (Auswahl)

Lappenschalen

Eine ungewöhnliche Formengruppe von Tongefäßen aus Isingerode, die kulturhistorisch besondere Aufmerksamkeit beanspruchen, soll diesmal vor allem auch deshalb hier vorgestellt werden, weil mehrere Exemplare erst bei der Durchsicht des Fundmaterials für den zu erstellenden Befund- und Fundkatalog nach der technischen Aufarbeitung während der letzten Monate identifiziert werden konnten. Die besagte Gefäßform wird als Lappenschale umschrieben. Einige wenige dieser Gefäße sind zusätzlich mit einer markanten Verzierung, dem sogenannten Reliefband, versehen. Diese Zierform stammt aber aus einem völlig anderen kulturellen Zusammenhang als die Lappenschalen selbst – und das macht die Sache natürliche noch zusätzlich interessanter!

Abb.1: Lappenschale, aus Scherben rekonstruiert nach einem Fund aus der jungbronzezeitlichen Siedlung Süpplingen-Nordschacht (nach HESKE 2002)

Lappenschalen sind flache Gefäße, die in der Aufsicht rechteckig bis fast quadratisch gestaltet sind, also schon dadurch einen krassen Unterschied zu den nahezu immer runden Gefäßen der zeitgleichen Fundkomplexe ausmachen. Zusätzlich sind die vier Ecken nach oben aufgewippt, bisweilen sogar deutlich ausgezogen, so daß sie wie Lappen wirken.

Darüber hinaus stellt sich diese Gefäßform als ausgesprochen variabel dar. So können die Schalen einen Standring besitzen, kommen meistens aber ohne aus. Die Lappen können spitz gerundet oder auch fast halbrund ausgezogen sein. Die Randlippen können glatt oder mit Einkerbungen versehen sein. Als Sonderformen können langrechteckigen Exemplare selten sogar mit sechs Lappen gestaltet sein, dabei wurde in der Mitte der Längsseiten jeweils ein weiterer Lappen angebracht.
Von Lappenschalen deutlich zu unterscheiden sind sogenannte Zipfelschalen. Diese sind in der Aufsicht rund, die Zipfel sind vom Rand schmaler und deutlicher ausgezogen, meistens stehen sie kreuzförmig gegenüber. Sie vermitteln eine deutlich andere Formauffassung als die Lappenschalen. Aus Isingerode sind sie nicht bekannt.
Auf der Oberfläche von Lappenschalen sind in der Regel durch Fingerkuppen, Fingertupfen, Fingernägel oder Fingerkniffen hervorgerufene Eindrücke angebracht. Dabei können die Eindruckränder deutlich aufgeschoben sein. Die Eindrücke dienen zur Verzierung, aber auch, um die Gefäßoberfläche griffiger zu machen. Sie können wahllos auf der Oberfläche verteilt, aber auch zu Reihen oder sogar Feldern angeordnet sein.

Reliefband-Verzierung

Eine besonderes markant hervortretende Zierform auf Lappenschalen stellen die oben bereits angesprochenen Reliefbänder dar. Als Grundidee dabei bilden scharfgratige Leisten ein Band, welches seinerseits durch Eindrücke von Fingertupfen, Fingerkuppen, Fingernägeln oder auch Hölzchen, vielfach am Rand aufgeschoben, gestaltet wurde (Abb.8). Die Variationsbreite ist hier sehr groß. Dabei können die Eindrücke sowohl in die Bandfurche eingetieft als auch in den Leisten eingekerbt worden sein oder beide Teile überspannen. Auch Kombinationen der einzelnen Ziertechniken kommen vor. Eine Sonderform sind Bänder, bei denen die Leisten durch die in Reihe nebeneinander gestellten aufgeschobenen Ränder von Fingerkuppeneindrücken gebildet werden (Abb.6). Die Bänder sind fast immer zu mehreren parallel zu Feldern angeordnet, wobei die aneinanderstoßenden Bänder eine gemeinsame Leiste haben. Diese können darüber hinaus gegeneinander versetzt zu flächendeckenden Mustern komponiert sein (Abb.10). Die Reliefbänder kommen auch in Kombination mit Feldern unregelmäßig gereihter Fingerkuppen- / Fingernagel- / Fingerkniffeneindrücken vor, die sie geometrisch begrenzen.
Trotz der großen Variabilität im Erscheinungsbild der Reliefbänder bleibt die grundlegende Gestaltungsidee immer erkennbar. Dabei ist die Verzierung durchaus nicht immer sorgfältig ausgeführt, trotzdem wirkt sie eigentlich immer beeindruckend, ein interessanter, offenbar repräsentativer Zierstil.

Funde aus Isingerode (Katalogteil)

Bei den Ausgrabungen auf dem Burgwall „Schwedenschanze“ bei Isingerode wurden mehrere Scherben von Lappenschalen entdeckt. Aufgrund der besonders auffälligen Merkmale lassen sich oft auch stark fragmentierte Scherben als diese Gefäßform ansprechen. Folgende Objekte gehören sicher zu Lappenschalen:

Abb. 2

■ 4380N-0226E-095T (Abb.2):

Tonscherbe-Rand, Lappenschalenfragment, Verzierung durch flächendeckend reliefbandartig parallele, bewusst (?) unsauber gezogene Bänder, deren Reliefgrate wahrscheinlich durch längs aufgeschobene Fingerkuppeneindrücke hergestellt wurden, in der Randlippe schmalbreite flache Fingerkuppen- oder Stöckcheneindrücke.

Fundlage: auf der Innenböschung des Hauptgrabens im abplanierten Brandschutt von B1.

 

 

 

 

 

 

 

Abb. 3

■ 5543N-0039E-055T (Abb.3):

Tonscherbe-Rand, Lappenschalenfragment, Verzierung durch flächendeckende parallele Reihen aufgeschobener Fingerkuppeneindrücke, in der Randlippe des Lappens Fingertupfeneindrücke.

Fundlage: in der Wallschüttung von W1, welche hier aber offensichtlich zu einem guten Teil aus Brandschutt von B2 aufgetragen wurde, weshalb auch eine Herkunft aus diesem Zerstörungshorizont denkbar ist.

 

 

 

 

 

 

 

 

Abb. 4

■ 3297N-02317W-220T (Abb.4):

Tonscherbe-Rand, Lappenschalenfragment, Verzierung reliefbandartige flächendeckende, parallele Reihen aus längsgestellten, aufgeschobenen Fingerkuppeneindrücken, Fingerkuppeneindrücke in der Randlippe

Fundlage: die Scherbe lag in einer ausgeprägten Brandascheschicht im äußeren Randbereich der Wallaufschüttung, in der die Brandschichten B1 und B4 zusammenlaufen, auch ist der Bereich durch die Eingriffe der ehemaligen Kiesgrube hier bereits leicht gestört. So ist eine sichere Einordnung nicht möglich, am wahrscheinlichsten gehört die Scherbe aber in den Brandhorizont B2.

 

 

 

 

 

 

 

Abb. 5

■ 3302N-2287W-200T (Abb. 5):

Tonscherbe-Rand, Lappenschalenfragment, Verzierung Reihen aufgeschobener Fingerkuppeneindrücke, im Rand Tupfeneindrücke.

Fundlage: in einer Brandascheschicht im Außenbereich der Wallaufschüttung, wo die Zerstörungsschichten B4 und B2 zusammenlaufen, eine sichere Einordnung ist deshalb nicht möglich, am wahrscheinlichsten gehört die Scherbe aber in den Brandhorizont B2.

 

 

 

 

 

 

 

Abb. 6

■ 3460N-2317W-120T (Abb.6):

Tonscherbe-Rand, Verzierung extrem scharfgratige, durch tief eingedrückte, längs nebeneinander gestellte hoch aufgeschobene Fingerkuppeneindrücke gebildete schmale Reliefbänder, flächendeckend bis unmittelbar unter die Randlippe

Fundlage: Schichtgrenze zwischen Brandschutt B2 und Wallschüttung W1

 

 

 

 

 

 

 

 

Abb. 7

■ 3773N-2830W-187T (Abb.7):
Tonscherbe-Rand, Lappenschale, Verzierung flächendeckende parallele Reihen gearbeitet, in gegenlaufenden Feldern angeordnet, Randbereich bleibt frei

Fundlage: „auf unterem Lehmwall, Brand“. Die Überprüfung im Profil bestätigte die stratigraphische Lage in W4/B4 (Abb. 11)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Aufgrund der besonderen Machart von Lappenschalen, ein eher rötlicher, härter gebrannter, fast spröde wirkender Ton, der sich von der üblichen Ware unterscheidet, in Verbindung mit den beschriebenen typischen Verzierungstechniken und -motiven, kann man meines Erachtens weiter Tonscherbenfunde als Lappenschalen ansprechen, denen in ihrem fragmentarischen Ausschnitt die Lappenbildung fehlt. Es soll aber nicht verschwiegen werden, dass zum Beispiel Immo HESKE (2002) eine andere Auffassung vertritt. Nach seiner Meinung gibt es keine Unterschiede in der Machart zwischen Lappenschalen und einheimischer Keramik.

Jedenfalls möchte ich entsprechend der genannten Kriterien folgende weitere Scherbenfunde aus dem Fundmaterial der dort von 2006 bis 2017 durchgeführten Ausgrabungen aus Isingerode für Lappenschalen akklamieren:

 

Abb. 8

■ 5085N-37E-30T (Abb.8):
Tonscherbe-Wandung, echte Reliefbandverzierung, scharfgratig begrenzte parallel flächendeckende aneinander laufende Bänder, in den Bandfurchen tiefe, aufgeschobene Fingertupfeneindrücke, nach Machart und in Verbindung mit Verzierung wahrscheinlich Lappenschalenfragment.

Fundlage: in der hier stark ausgeprägten Brandschicht B2

 

 

 

 

 

 

 

 

 

■ 6300N-0283E-160T:
Tonscherbe-Wandung, Verzierung aufgeschobene Fingerkuppeneindrücke; nach Machart und in Verbindung mit Verzierung wahrscheinlich Lappenschale.
Fundlage: auf dem Geröllsteinpflaster S1 in Höhe und Nähe des „Kultsteines“, auf dem flach auslaufenden Böschungsrand des Innengrabens, die Datierung in Wallschüttung W 1 ist also sehr wahrscheinlich

■ 6480N-344E-142T:
Tonscherbe-Wandung, Verzierung durch Fingerkuppeneindrücken, nach Machart und in Verbindung mit Verzierung wahrscheinlich Lappenschale
Fundlage: in Brandschicht B1 / Übergang Geröllsteinpflaster S1 über humoser Innengrabenfüllung, Datierung damit sehr wahrscheinlich W1

■ 3393N-2280W-180T:
Tonscherbe-Wandung, Verzierung parallele Reihen aufgeschobener Fingerkniffeneindrücke, nach Machart und in Verbindung mit Verzierung wahrscheinlich Lappenschale.
Fundlage: in Kieswall W3, eventuell hier in dessen Geröllsteinpflaster S3.

■ 3503N-2360W-108T:
Tonscherbe-Wandung, Verzierung aneinandergrenzende Reihen aufgeschobener flächendeckender Reihen Fingerkuppeneindrücken, wobei die einzelnen Eindrücke von Reihe zu Reihe gegeneinander versetzt sind, nach Machart und in Verbindung mit Verzierung wahrscheinlich Lappenschale.
Fundlage: in Wallschüttung W1

■ 4102N-3027W-140T:
Tonscherbe-Wandung, Verzierung aufgeschobene Fingerkuppeneindrücke, ev. in Reihe und Fläche angeordnet, nach Machart und in Verbindung mit Verzierung wahrscheinlich Lappenschale.
Fundlage: oben in humoser, geröllsteindurchsetzter Kulturschicht am Innenfuß der Wallschüttung, somit am wahrscheinlichsten Wallnutzungsphase W2.

■ 4105N-3102W-140T:
Tonscherbe-Wandung, stark korrodiert, mglw. aber Fingertupfen-/ oder sogar Reliefbandverzierung. nach Machart und in Verbindung mit Verzierung wahrscheinlich Lappenschale.
Fundlage: oben in humoser, geröllsteindurchsetzter Kulturschicht am Innenfuß der Wallschüttung, somit am wahrscheinlichsten Wallnutzungsphase W2.

Nach dieser freilich für die meisten recht trockenen typologischen Betrachtung und Aufbereitung des Quellenmaterials ist es nun angezeigt, zum eigentlich spannenden Teil überzugehen: Der historischen Betrachtung. Was sagen uns diese unscheinbaren Fragmente nun eigentlich zum Leben der damaligen Menschen? Dazu ist nach Verbreitung, Kulturzugehörigkeit, Datierung und Funktion der Gefäße zu fragen.

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