Isingerode Forschungen Newsletter 3 (Teil 1)

Wenn einer eine Reise tut,
dann kann er was erzählen.
Drum nähme ich den Stock und Hut
und tät das Reisen wählen.

Matthias Claudius (1740 – 1815)

Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was … erforschen!

(Teil 1)
von Wolf-Dieter Steinmetz.

Denn Reisen bildet bekanntlich (oder kann zumindest dafür genutzt werden). Ich möchte behaupten, für einen forschenden Archäologen ist Reisen sogar unentbehrlich. In diesem speziellen Fall ist dabei eine besondere Art des Reisens gemeint: Der Besuch von Fachtagungen nämlich, bei denen Kollegen ihre neuesten Ausgrabungs- und Forschungsergebnisse vorstellen, bei denen zu speziellen Themen referiert wird, wo man Einblick in neue Projekte vermittelt bekommt, wo über methodische Probleme nachgedacht wird. Und wo vor allem intensiv und vielfach natürlich kontrovers darüber diskutiert wird.

Abb.1: Programmheft, Titelblatt der Tagung des Süd- und Westdeutschen sowie des Mittel- und Ostdeutschen Verbandes für Altertumskunde in Würzburg, 1.-5. April 2019.

Gerade als Ruheständler, der nicht mehr ins Netzwerk der Fachwissenschaft eingebunden ist, der aber meint selbst noch forschen zu sollen, habe ich in den letzten beiden Jahren den Besuch von archäologischen Tagungen und Kolloquien als ausgesprochen bereichernd, informativ und vor allem anregend für die eigene Arbeit empfunden. Man bleibt einigermaßen auf dem aktuellen Stand der Forschung und kann vom Ideenreichtum der jungen Wissenschaftler profitieren (und diesen – zumindest überwiegend – bewundern). Der Fortschritt unseres Faches von Jahr zu Jahr, methodisch und inhaltlich, erstaunt und begeistert immer wieder.

Aktueller Bezug, der diesen Newsletter angeregt hat, war die gemeinsame Jahrestagung des West- und Süddeutschen sowie des Mittel- und Ostdeutschen Verbandes für Altertumskunde vom 1.-5. April in Würzburg. (Abb.1) Was diese Veranstaltung für unsere eigene Forschung (zur Erinnerung: die jungbronze- bis früheisenzeitliche befestigte Zentralsiedlung von Isingerode) zusätzlich besonders motivierend machte, waren:

  • Die AG Bronzezeit mit dem Thema:
    Hierarchische Strukturen in der Bronzezeit – Forschungsstand, Methoden, Modelle und Neu-Evaluierung.
    Es braucht kaum erläutert werden, daß bei diesem Thema die befestigten Zentralsiedlungen einen wesentlichen Gesichtspunkt beizutragen hatten. Derartige teilweise monumentale Gemeinwesen mit Bauorganisation, Handel, Markt, Fernverkehr, Handwerk und vermutlich Kultfunktionen sind nur mit einer gegliederten hierarchischen und sozialen Gesellschaftsstruktur vorstellbar. Im Thema enthalten und mit den Befestigungen verbunden: Entstehung und Vorhandensein von „Kriegerbünden“ und „Kriegsherren“
  • Die AG Eisenzeit mit dem Thema:
    Wert und Maß. Systeme ökonomischer und sozialer Differenzierung in der Eisenzeit & Neuere Forschungen zur Eisenzeit in Europa.
    Im zweiten Themenblock Vorträge zur bekannten Heuneburg und befestigte Höhensiedlungen im Oberrheintal (auch Isingerode-Burgwall reicht ja bis in die frühe Eisenzeit hinein)
  • Die AG Neolithikum, zusammen mit der AG Theorien zum Thema:
    Mensch – Körper – Tod. Der Umgang mit menschlichen Überresten im Neolithikum.
    Dabei auch neolithische Befestigungen und Befunde gewalttätiger Auseinandersetzung, insbesondere auch zum methodischen Umgang damit. Und auch die Frage, die uns für Isingerode beschäftigt: Wo sind all die Toten hin?
  • Plenum:
    Landesarchäologie. Aktuelle Forschungen und Entdeckungen der Landesarchäologien Bayern und Baden-Württemberg
    Ebenfalls Vorträge über befestigte Höhensiedlungen der Bronzezeit und Eisenzeit.

Erträge

Nach 31 Vorträgen in 4 Tagen, einem vollgeschriebenen „Geländebuch“, einer übersprudelnden Gehirnfestplatte, einem intensiven Museumsbesuch, der schweißtreibenden Erwanderung zweier Geländedenkmäler und, auch das gehört dazu, zwei feuchtfröhlichen Abendempfängen gilt es Resümee zu ziehen: eine sehr erfreuliche Tagung, gut organisiert, gastfreundliche Veranstalter, ertragreiche und anregende Forschung. Nur der Mainwein war nicht so ganz mein Fall, ein herbes Tröpfchen – aber die Franken brauen auch ein sehr gutes Bier.

► Befestigte Zentralsiedlungen
► Hierarchische Strukturen, soziale Differenzierung
► Völkerkundliche Analogie
► Konflikt, gewalttätige Auseinandersetzung, Krieg
► Grau ist alle Theorie
► Mainstream
► Und sonst?
► Ein empfehlenswertes Museum
► Quellen und Nachweise

Befestigte Zentralsiedlungen

Erneut die Einsicht: den Typus der „befestigten Zentralsiedlung“ gibt es nicht! Die Anlagen variieren in Größe, Lagebezug, Nutzung, Errichtungsaufwand und zeitlichem Bestehen ganz erheblich voneinander. Gemeinsam scheint allen nur eine immer markante oder zumindest strategische Lage in der Landschaft und ein deutlicher Bezug zum Altwegesystem zu sein. Entsprechend differenziert wird auch ihre Funktion gewesen sein, man muss das bei jeder Anlage individuell diskutieren. Zentralsiedlungen, Handelsplätze und Marktorte, Kultzentren, Sitze der politischen und militärischen Macht sowie des Handwerks, militärische Grenzsicherung, Zufluchtsorte, um nur einige der Funktionsinterpretationen anzuführen. Dabei ist bei jeder Interpretation stets zu berücksichtigen, daß tatsächlich immer noch nur ein kleiner Teil aller Anlagen und diese auch nur in kleinsten Ausschnitten untersucht wurden. Erfreulich ist allerdings zu vermerken, dass die archäologische Erschließung bronze- und früheisenzeitlicher Befestigungen in den letzten Jahren wieder deutlich zugenommen hat.

So zum Beispiel im gastgebenden Bundesland Bayern / Franken (FALKENSTEIN / OSTERMEYER 2015). In den letzten Jahren spektakulär in aller Munde der durch seine mykenischen Importfunde aus Gold und Bernstein mit Linear-B-Schriftzeichen bekannt gewordene befestigte Zentralort von Bernsdorf (allgemein zuletzt KRAUSE / GEBHARDT / BÄHR 2013, in der Tagung aber nicht präsent). Auf der Tagung vorgeführt die neuesten Untersuchungen der Anlage auf dem Bullenheimer Berg in Franken (Abb.2-4) mit einem beinahe 3 km langen, untergliederten Befestigungswall und zahlreichen, als kostbar zu bezeichnenden Hortfunden (FALKENSTEIN 2019), sowie die Befestigungen auf dem Marienberg in Würzburg unter der bekannten barocken fürstbischöflichen Festung (HOPPE 2019) (Abb.5) und auf dem Stadtberg inmitten von Neuburg an der Donau (OSTERMEIER 2019).

Abb. 2: Der landschaftsbeherrschende Bullenheimer Berg, auf dessen Plateau die beeindruckenden Reste einer gewaltige befestigte Zentralsiedlung der Mittleren bis Späten Bronzezeit liegen.
Abb. 3: Die Wallreste der Toranlage an der bronzezeitlichen Zentralsiedlung auf dem Bullenheimer Berg.
Abb. 4: Aufgelassene Grabungsflächen auf dem Bullenheimer Berg zeugen von den Ausgrabungen des neuen Forschungsprojektes der Uni Würzburg und lassen auf eine Fortsetzung hoffen.
Abb. 5: Kurbischöfliche Festung auf dem Marienberg, Wahrzeichen von Würzburg. Auf dieser markanten Geländekuppe über dem Main hat eine jungbronze- bis mitteleisenzeitliche Befestigung in strategisch herausragender Position gelegen.

Die Pfalz überraschte mit einem Bericht über die erst kürzlich als solche erkannte imposante Anlage auf dem exponierten Hohenberg bei Landau an der Weinstraße (BENTZ 2019). Anders als fast alle anderen Befestigungen der Bronzezeit lag diese nicht auf einem Hochplateau, sondern auf einem schmalen langgezogenen Kamm, nach allen Seiten ziemlich steil abfallend, für eine Siedlungslage also weitgehend ungeeignet. Mit unglaublichem Aufwand wurden deshalb rings um den Berg herumlaufend übereinander liegende Terrassen angelegt, durch die die benötigten Wohnpodien künstlich geschaffen wurden. Die außerordentlich günstige Verkehrslage motivierte und rechtfertigte offenbar diese enorme Arbeitsleistung. Auch hier fanden sich zahlreiche Hortfunde.

Für Baden-Württemberg bzw. das Elsass wurden Untersuchungen in weiteren Anlagen vorgestellt. Diese waren zwar bereits in der Bronzezeit angelegt worden, hatten ihren glanzvollen Höhepunkt aber erst in der frühen Eisenzeit, so die weltberühmte Heuneburg an der Donau, deren ernsthafte Erforschung nunmehr bereits fast 70 Jahre andauert (HANSEN / TARPINI / ABELE / KRAUSSE 2019), oder die befestigten Höhensiedlungen der Eisenzeit im Oberrheintal (GENTNER / BERNARD 2019)

Leider nicht auf der Tagung in Würzburg vertreten war das LOEWE-Schwerpunktprogramm Prähistorische Konfliktforschung der Universität Frankfurt und der Römisch-Germanischen Kommission Frankfurt (HANSEN / KRAUSE 2018), wobei innerhalb dieses Themas ein Schwerpunkt auf die archäologische und historische Analyse von bronzezeitlichen „Burgen bzw. befestigten Siedlungen“ (diese Begriffe werden dort synonym gebraucht) gelegt wird. Neue, auch ältere Untersuchungen ergänzende Ausgrabungen wurden dabei in einer Reihe von Höhenbefestigungen in Hessen vorgenommen. Umso bedauerlicher ist die Absenz der Projektvertreter zu vermerken, die Ergebnisse der Unternehmungen sind allerdings in einem Tagungsband von 2018 nachzulesen (BRINGEMEIER / STOBBE 2019. – NEUMANN 2019. – BLITTE / VERSE 2019), worauf aufgrund seiner Bedeutung für unsere Forschungen hier verwiesen sei.

Einmal mehr wurde die zeitliche Tiefe der Befestigungen deutlich. Die zahlreichen Anlagen sind nicht alle gleichzeitig erbaut worden, sie haben nicht alle gleichzeitig bestanden, die Bau- und Nutzungsgeschichte der einzelnen Orte ist durchaus sehr individuell verlaufen, sie können nur kurz oder auch wiederholt, mit Unterbrechungen, besiedelt gewesen sein. Um generell wirksame historische Horizonte mit allgemeinen Abbruchs-, Zerstörungs- und Hiatusphasen und der Frage nach entsprechenden Ursachen herauszuarbeiten, ist der Forschungsstand noch viel zu dürftig. Er kann zurzeit wohl nur für regionale Bereiche einzelner Kulturgebiete versucht werden, jeder einzelne neue Befund kann dabei die bisherigen Theorien unter Umständen über den Haufen werfen oder zumindest relativieren.

Allgemein lässt sich aktuell wohl vor allem nur feststellen, dass der bronzezeitliche Befestigungsbau in Mitteleuropa erst relativ spät, am Übergang von der frühen zur mittleren Bronzezeit um 1600 v. Chr. vor allem in Süddeutschland, Böhmen, Mähren, der Slowakei und sogar in den nördlichen Alpenländern einsetzte (dies und das folgende zusammenfassend nach HERRMANN 1989, JOCKENHÖVEL 1990, ETTEL 2015). Angestoßen wurde dieser erste Bauhorizont sehr wahrscheinlich über den Balkan aus dem mykenischen östlichen Mittelmeergebiet, wo es kurz vorher zur Herausbildung von stadtartigen Zentren gekommen war. Die Nutzung der Anlagen endete bereit kaum 100 Jahre später um 1500 v. Chr. Eine erneute Errichtung von Befestigungen erfolgte dann in der 2. Hälfte des 14. Jhdts. v. Chr. Auch diese Anlagen wurden größtenteils wieder aufgegeben.

Nur wenige bestanden in die Zeit der beginnenden Urnenfelderkultur, dem 13. Jhdt. v. Chr., hinein weiter, als der erste wirklich intensive Bauboom befestigter Zentralsiedlungen einsetzte, der vielleicht noch in diesem Abschnitt, spätestens aber an der Wende zum 12. Jahrhundert dann auch die Zone nördlich der Mittelgebirge, Mitteldeutschland einschließlich dem Nordharzvorland / Braunschweiger Land und Nordostdeutschland, also das Gebiet der Lausitzer Kultur, erfasste.

Zu diesem Zeitpunkt wurden im Süden nahezu alle Befestigungen aufgegeben, allerdings wurden gleichzeitig mit der beginnenden Eisenzeit auch viele neue Plätze bewehrt. Im mittel- und nordostdeutschen Gebiet der Lausitzer Kultur blieben hingegen viele der befestigten Orte bis ins 6. Jhdt. v. Chr. hinein in Benutzung, allerdings wurden seit Beginn der Eisenzeit auch hier mehrere Anlagen neu errichtet.

Nach den historischen Ursachen dieser Entwicklungen zu fragen bleibt zurzeit noch sehr hypothetisch, dazu ist wie gesagt der Erforschungs- und Bearbeitungsstand einfach noch viel zu dürftig. Klimaumbrüche, Naturkatastrophen, Konkurrenzkriege zwischen den Zentren, Völkerwanderungen, Überbevölkerung, gesellschaftlich-soziale Spannungen wurden in Anspruch genommen, aber … siehe oben: immer zuerst im Einzelfall untersuchen, dann später vielleicht irgendwann zu einem begründeten Urteil kommen.

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