Isingerode Forschungen Newsletter 5 (Teil 1)

Das Salz in der Suppe …

(Teil 1)
von Wolf-Dieter Steinmetz.

Häufig ergibt sich auf Ausgrabungen die Notwendigkeit, zur sicheren Bergung fragiler oder brüchiger Fundobjekte und Fundkonzentrationen diese vor Ort einzugipsen oder zumindest im Erdblock zu bergen und erst im Museum unter günstigeren Bedingungen herauszuarbeiten. Beim Freilegen dieser Präparate gibt es häufig positive Überraschungen. Bei der letzten Aktion dieser Art durch die Aktivgruppe von FABL kamen aus zweien dieser inzwischen verfestigten Erdblöcke sehr bröselige Brandlehmbrocken mit ungewöhnlichen Formmerkmalen heraus.

Brandlehm, eine häufig unterschätzte Fundgruppe in der Archäologie, wird normalerweise als Rest von Flechtwandverputz gedeutet, der sich bei einem Brand verfestigt hat, dabei aber nicht die Konsistenz von Gefäßkeramik erreicht hat. Häufig sind noch die Rutenabdrücke des Flechtwerkes zu erkennen, bisweilen sogar eine Bemalung (► Newsletter 1). Aber auch andere Funktionen können sich hinter Brandlehmbrocken verbergen. So finden sich im Fundmaterial der „Schwedenschanze“ zum Beispiel auch Fragmente sogenannter Webgewichte, die in einen offenen Brand geraten waren.

► Die Objekte der Betrachtung
► Interpretation
► Datierung
► Salz im Braunschweiger Land
► Zentralsiedlungen und Salz
► Solequellen und ihr Forschungspotential
► Salz als Wirtschaftsfaktor
► Neue Forschungen
► Salz und Kulturgeschichte
► Epilog
► Nachweis und ergänzende Literaturhinweise

Die Objekte der Betrachtung

Die beiden bei besagter Präparierungsaktion freigelegten Brandlehmbrocken passen ebenfalls nicht in die Kategorie Wandputz. Sie zeigen beide an einem der Enden eine gerundete, nach unten flache Basis. Über dieser zieht der Körper ein, um dann jeweils in einer Bruchkante zu enden. Das Material ist extrem porös, so wie es nach mehrfachem Brand entsteht.

Aber vor einem Interpretationsversuch zunächst die Dokumentationsdaten der Artefakte:

■  6334N-310E-120T (Abb.1 links)
Stratigraphisch lag das Objekt am Übergang von der jüngsten Wallschüttung W1 zu dessen aufliegenden Zerstörungshorizont B1, also auf dem Laufhorizont dieses Befestigungswerkes, wird somit in diese Zeitphase zu datieren sein. Größere Umlagerungen etwa aus älteren Schichten hätte das fragile Objekt nicht überstanden.

■  6770N-120E-95T (Abb.1 rechts)
Stratigraphisch lag das Objekt in der alten Abpflügschicht über dem Wallinnenfuß. Eine genaue chronologische Einordnung ist damit nicht möglich, wahrscheinlich datiert es in W2 oder W1, weil die Schicht hauptsächlich aus deren Material besteht. Es könnte zwar auch aus älteren Schichten verlagert worden sein, was aufgrund seiner Fragilität allerdings nicht denkbar ist.

Abb. 1: Die Fragmente der Salzsiedeständer aus Isingerode nach der Freipräparierung (Klicken zum Vergrößern)

Die gerundete Basis macht es eigentlich unmöglich, dass es sich um normalen Wandverputz handeln könnte – es sei denn man würde das allerdings wenig wahrscheinliche Vorhandensein von plastischen Zierstreifen oder Simsen an bronzezeitlichen Bauwerken annehmen.

Interpretation

Eine andere Rekonstruktion und Funktionsdeutung bieten sich aber an. In der archäologischen Sammlung des Braunschweigischen Landesmuseums befinden sich drei Objekte, die in der Form ihrer Basis den unseren weitgehend entsprechen (NIQUET 1967,176 Abb.7). Sie wurden von Dr. Franz Niquet, ehemaliger Kustos des Hauses, bereits in den 1960er Jahren in Runstedt im ehemaligen Braunkohletagebau ebenfalls in einer jungbronzezeitlichen Siedlung ausgegraben. Aufgrund seiner wissenschaftlichen Herkunft aus der mitteldeutschen Universität in Halle erkannte er sofort, daß es sich hier um Ständer für eine Salzsiedeplattform handelte. Im bereits seit der Jungsteinzeit salinengeprägten Halle waren zahlreiche Vergleichsbeispiele nachweisbar.

Abb. 2: Die Vergleichsstücke aus der jungbronzezeitlichen Siedlung von Runstedt, liegend vor dem Rekonstruktionsmodell einer Salzsiedeplattform mit entsprechenden Ständern, darauf eine Salzwanne aus Emmerstedt.
Vitrinenteil im Braunschweigischen Landesmuseum, Dauerausstellung Ur- und Frühgeschichte in Wolfenbüttel (Klicken zum Vergrößern)

Die Funktionsweise lässt sich am besten am abgebildeten Modell erklären. Mithilfe von Ständern wie den unseren wurden tönerne Plattformen errichtet, unter denen ein Feuer entzündet wurde. Auf die Plattformen wurden derweil Tonwannen gestellt, in die Sole, also salzhaltige Flüssigkeit gegossen wurde. Durch die Hitze des Feuers verdampfte unter ständigem Nachgießen die Flüssigkeit und zurück blieb das reine Salz. Natürlich gibt es diese Salzsiedeanlagen in unterschiedlichster Funktionstechnik und Formgebung, für uns wichtig ist jedoch die richtige Ansprache unserer Objekte aus den Wallschichten von Isingerode. Entsprechende Vergleichsbeispiele gibt es auch aus vielen völkerkundlichen Belegen (Abb.3). Als Bestätigung für die angenommene Funktionsweise fanden sich im Runstedter Befund, der dortigen Siedlungsgrube 89, außerdem die Reste einer großen Salzwanne aus gebranntem Ton (STEINMETZ 2003, Kalenderblatt Woche 30) (Abb. 6).

Abb. 3: Salzsiedeofen aus Mangaland (Tschad) (GOULETQUER + KLEINMANN 1972, Abb.10) (Klicken zum Vergrößern)

Datierung

Zumindest einer der Salzsiedeständer von der „Schwedenschanze“ datiert aufgrund seiner oben bereits beschriebenen stratigraphischen Position in die späte Bronzezeit, dem 9./8. Jhdt. v. Chr., dabei eher ans Ende dieser Phase. Die allerdings unsichere Position des anderen Fragmentes widerspricht dieser Zeitstellung zumindest nicht, maximal datiert es in den Übergang zur späten Bronzezeit, dem 10. Jhdt. v. Chr. Auch die anderen für das Braunschweiger Land zu belegenden Salzsiedeständer aus Runstedt lassen sich in diesen Zeithorizont stellen. Sie lagen dort in einer Siedlungsgrube (Befund 89) zusammen mit zahlreichen Tongefäßscherben, die sich aufgrund ihrer Formgebung und ihrer Verzierung sicher chronologisch einordnen lassen, unterstützt durch ein gleichaltes, mitgefundenes Bronzemesser (HESKE 2002,109f.). Danach datiert der Befund in die späte Bronzezeit, das 9./8. Jhdt. v. Chr. (im Fachjargon Nordische Bronzezeit Periode V bzw. Süddeutsche Urnenfelderkultur Stufe Hallstatt B2-3), genau wie die Fundschicht in Isingerode.

Salz im Braunschweiger Land

Die Hinweise auf Gewinnung von Salz und dessen wirtschaftlicher Bedeutung im östlichen Braunschweiger Land wurden von Immo Heske im Rahmen seiner Hünenburgforschungen zusammengestellt. Neben dem bereits genannten Runstedt lässt sich mit einer Sandsteinform aus Süpplingen / Nordschacht, die nach mineralogischen Untersuchungen mit Salzverarbeitung in Verbindung gebracht werden kann, allerdings nur noch ein möglicher weiterer Nachweis erbringen. Viel auffälliger ist, daß nahezu alle jungbronzezeitlichen Siedlungsplätze in der Umgebung des Elm einschließlich des befestigten Zentralortes „Hünenburg“ bei Watenstedt in der Nähe potentieller Salzquellen lagen. Möglicherweise kann hier ein möglicher Zusammenhang insbesondere auch im Hinblick auf die Siedlungsplatzwahl erkannt werden (HESKE 2009,326f.; Karte mit Siedlungsplätzen und Salzquellen S.327 Abb.4).

Weitere Nachweise fehlen dann allerdings für das gesamte Braunschweiger Land, obwohl eine ganze Reihe potentieller Solequellen hier nachweisbar ist. Da diese für das Braunschweiger Land im Rahmen überregionaler Arbeiten zur urgeschichtlichen Salzgewinnung insbesondere des mitteldeutschen Raumes immer wieder mitkartiert wurden (MATTHIAS 1961,190 Liste der Solquellen, Verbreitungskarte S.195 Abb.28 – Vgl. auch ETTEL u.a. 2018,11 Verbreitungskarte Abb.7) sind wir hinsichtlich ihres Aufkommens gut informiert. Die Karte brauchte nur um Fundpunkte westlich der Oker im Salzgittergebiet ergänzt werden (LOOK 1984. – KOLBE 1986,11-14, Abb.3).

Abb. 4: Obertägig austretende Salzquellen im Braunschweiger Land und dem nordöstlichen Harzvorland, die potentiell schon in der Bronzezeit hätten genutzt werden können, kartiert außerdem die Standorte nachgewiesener und möglicher weiterer befestigter Zentralsiedlungen (Salzquellen nach MATTHIAS 1961, mit Ergänzungen nach LOOK 1984 und KOLBE 1986)

Für die urgeschichtlichen Prospektoren war es nicht schwer, die Standorte der Solequellen aufzufinden. Diese geben sich durch den Bewuchs mit salzliebenden Pflanzen, Halophyten, deutlich in der Landschaft zu erkennen (Abb.4). Aber bisweilen reicht es sogar schon zu beobachten, wo Wildtiere bevorzugt zur Tränke, „Salzlecke“ gehen, um diese aufzufinden.

Abb. 5: Bestimmte Pflanzen, Halophyten, bevorzugen salzhaltige Untergründe. Anhand dieser kann man die Standorte solehaltiger Quellen erkennen. (Klicken zum Vergrößern)

Zentralsiedlungen und Salz

Erstaunt stellt man fest, dass nun ausgerechnet die Zentralsiedlung von Isingerode nicht im näheren Bereich von Solequellen oder auch nur salzsiedenden Gemeinschaften lag. Die nächsten potentiellen Quellen lagen gut 12-16 km entfernt bei Liebenburg im Westen und hinter Osterwiek im Osten. Will man dies wirtschaftstechnisch erklären, muss man daraus wohl schließen, dass nicht das fertige Salz, sondern nur die an der Quelle geschöpfte Sohle in größeren Behältern zur Siedlung geschafft wurde und erst dort verarbeitet, gesotten wurde. Wahrscheinlich wäre es umgekehrt einfacher gewesen, zumal das zum Sieden notwendige Holz an der Quelle wohl reichlicher verfügbar war als in der Umgebung der Zentralsiedlung. Vielleicht befanden sich die Solequellen aber auch im Besitz anderer Herrschaftsbereiche und der Erwerb von Sole war kostengünstiger als der des bereits gewonnenen Salzes. So befinden sich in der Umgebung der für Isingerode denkbaren Lieferquellen andere gleichzeitige, zumindest potentielle Befestigungen (Abb.4).

Dies könnte auch die erstaunliche Beobachtung erklären, dass ausgerechnet auf der bestens erforschten Hünenburg bei Watenstedt, dem befestigten Handelszentrum der Landschaft, nur vage Hinweise auf eine mögliche Salzgewinnung zu finden sind, obwohl mit der nahegelegenen, ergiebigen Solequelle bei Barnstorf eine große Gewinnungsstätte vorhanden war. Sicherlich war es so, dass die Herren des Marktes die sich hier erschließenden wirtschaftlichen Möglichkeiten voll abschöpften. Vielleicht war es in diesem Fall einfach so, dass die Beschaffung des Brennmaterials viel zu aufwendig war, zumal in der Landschaft direkt um das Siedlungszentrum herum, in der der Baumbewuchs vermutlich sowieso weitgehend abgeholzt war. Vielleicht verkaufte man nur die Sohle, das Sieden konnte jeder selbst übernehmen, man sparte so Transport und Brennholz. Oder man sourcte die Siedetätigkeit überhaupt aus in die abhängigen ländlichen Siedlungen wie in Runstedt, Süpplingen und vielleicht Emmerstedt, wo noch genügend Brennmaterial verfügbar war. Viele Deutungsmöglichkeiten – wiewohl fehlen uns die Fakten.

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