von Peter Heinemeyer
Einleitung – Kirchhof St. Stephan – Kirchhof an der Hauptkirche – Armen-Sünder-Platz – Bürgerfriedhof hinter der Trinitatiskirche – Schwedenfriedhof Lechlumer Holz
Einleitung
Dieser Artikel soll Ihnen einen kleinen Einblick in die Vielfalt unserer Wolfenbütteler Friedhöfe geben. In lockerer Reihenfolge führe ich Sie durch den Zeitraum vom Mittelalter bis in die Gegenwart und stelle Ihnen Interessantes und Kurioses über diese würdevollen Orte im unmittelbaren Stadtgebiet (ohne die Eingemeindungen von 1974) vor.
Der älteste nachgewiesene Friedhof lag an der östlichen Grenze der ehemaligen Kaserne am Exer. Dort wurden 1936 bei Aushubarbeiten acht in West-Ost-Richtung liegende Skelette geborgen. Nach Frau Dr. Ludovici datieren diese Gräber ins 8. bzw. 9. Jahrhundert.
(Weitere Bemerkungen zu diesem Friedhof später in Teil 4: “Ergänzend zur Ur- und Frühgeschichte”)
Kirchhof St. Stephan
Das Dorf Lechede gab es schon vor dem 10. Jahrhundert. Es lag in der Umgebung der Straße „Am roten Amte“. Seine erste Erwähnung erfolgte 1084. Es war damit älter als Wolfenbüttel. Die Pfarrei der ehemaligen St. Stephanskirche in Lechede gehörte damals zum Bistum Halberstadt. Die Kirche mit ihrem zugehörigen Kirchhof muss es ebenfalls schon im 10. Jahrhundert gegeben haben, denn sie galt als Mutterkirche für die St. Longinus- und die St. Laurentius-Kapelle, die beide in unmittelbarer Nähe der Burg Wolfenbüttel lagen (später: Wolfenbütteler Schloss), und die ebenfalls im 10. Jahrhundert errichtet wurden. 1460 beschloss der Halberstädter Bischof, dass die in Lechede Verstorbenen nur noch bei der Marienkapelle (Vorgängerin der Hauptkirche) begraben werden sollten. Lechede wurde aufgegeben und lag bereits um 1469 wüst.
Kirchhof an der Hauptkirche
Heutzutage kaum erkennbar ist der ehemalige Kirchhof der „Marienkapelle“: Die Rasenfläche rund um die Hauptkirche Beatae Mariae Virginis („Der seligen Jungfrau Maria“, oder volkstümlich: „Unserer lieben Frauen“) war seit Beginn des 14. Jahrhunderts (erste urkundliche Erwähnung: 1301) bis zum 19. Jahrhundert ein Gottesacker. Auf ihm standen, vor dem Bau der heutigen Kirche, nacheinander zwei Vorgänger-Kirchen mit eigenen Begräbnisplätzen. Die erste Vorgängerkirche (Marienkapelle) wurde auf dieser leicht erhöhten Oker-Sanddüne als reine Grabkapelle errichtet und gehörte damals zum Bistum Halberstadt. Sie unterstand der kirchlichen Verwaltung der St. Stephanskirche des einstigen Ortes Lechede (s. oben).
Am Kirchengebäude stehen heute noch zahlreiche Grabsteine und Epitaphe (Gedenktafeln), die einst im Kircheninnern ihren Platz hatten. Auf Karten aus dem 19. Jahrhundert ist der Kirchhof schon nicht mehr eingezeichnet. Ende des 18. Jahrhunderts wurde dieses Areal geräumt, da man damals bereits innerstädtische Beerdigungen untersagte. Zahlreiche Grabplatten dieses Friedhofs fanden als Baumaterial und Gehwegplatten eine neue Verwendung. 1820 wurde die Friedhofsmauer abgerissen. Seitdem hat dieses Gelände einen parkähnlichen Charakter.
Ausgrabungen anlässlich der Umgestaltung der Reichsstraße 2015 bestätigten die Existenz dieses alten Gottesackers.
(Siehe hierzu auch den Bericht über einen Vortrag zu diesen Ausgrabungen: → HIER.)
Armen-Sünder-Platz
Dieser Friedhof taucht nur noch als Flurname auf alten Karten auf. Er befand sich im südlichen Abschnitt zwischen dem „Riesengebirgsweg“ und der „Akazienstraße“. Es ist nicht sicher, welchen Einzugsbereich dieser Friedhof hatte. Als „Armen Sünder“ oder „Armsünderplätze“ o.ä. wurden vom Mittelalter bis in die Neuzeit Friedhöfe oder Friedhofsbereiche bezeichnet, auf denen Nichtchristen, ungetauft verstorbene Kleinkinder, Selbstmörder, unbekannte Wanderer und Mörder beerdigt wurden. Sie wurden dort in „ungeweihter“ Erde, also würdelos und ohne kirchlichen Segen „verscharrt“.
Der Herzog verfügte 1660, dass es solche Begräbnisse nicht mehr geben dürfe. Alle Verstorbenen, die als „Arme Sünder“ galten, mussten ab sofort auf einem regulären Friedhof beerdigt werden. So könnte dieser Friedhof also von den umliegenden Gemeinden und ganz speziell von der Atzumer Kirche, die im Mittelalter ein bedeutender Sitz des Bistums Halberstadt war, als Armen-Sünder-Platz genutzt worden sein. Der Heimatpfleger Ekkehard Thon vermutet, dass dieser Platz eine Hinrichtungsstätte zwischen Wolfenbüttel und Ahlum gewesen sei. Weitere gab es „Am blauen Stein“, am „Alten Weg“ beim Lechlumer Holz und am Wendesser Berg.
Bürgerfriedhof hinter der Trinitatiskirche
Dieser Friedhof befand sich unmittelbar hinter dem ehemaligen „Kaisertor“ (heute: Sakristei der Trinitatiskirche). Er wurde um 1589 als der „Alte Gotteslagersche Kirchhof“ angelegt. Zu ihm gehörte auch eine kleine „Dreifaltigkeitskirche“, die ebenfalls 1588/89 fertiggestellt wurde. Nach einer Pestepidemie im Jahre 1597 war dieser Gottesacker bereits mit über 400 Bestatteten überfüllt und musste vergrößert werden.
Während des 30-jährigen Krieges verwüsteten Dänische Söldner 1627 im Kampf gegen die Kaiserlichen dieses Areal, hoben beliebig Gräber aus und verscharrten ihre eigenen Gefallenen darin. Um 1630 wurde dieses Areal zu einer Schanze umgebaut und alle darin bestatteten Toten mussten zuvor umgebettet werden. Nach dem Ende des 30-jährigen Kriegs wurde diese Fläche zur „Bastion Corneliusberg“ (heute ist davon nur noch der „Garnisonsberg“ als Rest erkennbar).
Das verbleibende, innerhalb der Festungsmauern liegende Areal wurde mit vier Meter Erde aufgeschüttet und wieder als Friedhof genutzt. Der Friedhof bekam den Namen „Bürgerfriedhof“ und wurde bis 1905 belegt. 1934 entstand an dieser Stelle eine Parkanlage. 1962 wurde der Friedhof offiziell entwidmet. Inzwischen stehen auf ihm eine Turnhalle und ein Parkhaus.
Schwedenfriedhof Lechlumer Holz
Auf dem „Löwe-Pfad“ im Lechlumer Holz befindet sich ein großer Holzwürfel mit einer Kantenlänge von zehn Metern als anschauliches Beispiel für das Holzvolumen, das aus einem Hektar Wald in 110 Jahren geerntet wird. Steht man vor dem Würfel mit Blick nach Osten, so verläuft linker Hand in Blickrichtung ein zugewachsener Waldweg. Dieser Weg war zu herzoglichen Zeiten eine Schießbahn, die vom „Neuen Weg“ bis zu einem 500 Meter entfernten Kugelfang reichte. Die Schießbahn und der Kugelfang sind noch deutlich auszumachen. Rechts hinter dem Kugelfang befindet sich das Gelände des ehemaligen „Schwedenfriedhofs“.
Dieser Friedhof ist während des 30-jährigen Krieges in der Schlacht um Wolfenbüttel am 29. Juni 1641 zwischen den Kaiserlichen und dem Erzherzog Leopold Wilhelm, und seinen schwedischen, hessischen und französischen Verbündeten für die Gefallenen angelegt worden. Ein vergleichbarer Friedhof wurde nachweislich 1641 in Salzgitter-Thiede angelegt und befindet sich im „Beddinger Holz“. Das Areal hinter dem Kugelfang weist einige Besonderheiten auf. Zum einen befindet es sich auf dem Gelände des ehemaligen herzoglichen Waldes, und zum anderen ist es nach fast 400 Jahren noch relativ deutlich in seiner Umgebung auszumachen.
Hilfreich ist es deshalb, etwas über die Anlage und die näheren Umstände von „Schwedenfriedhöfen“ zu erläutern. Auf ihnen konnten auch Soldaten oder Söldner anderer Nationen beerdigt sein. Sie befanden sich situationsbedingt in unmittelbarer Nähe von Kriegsschauplätzen. Es handelte sich in der Regel um Massengräber. Ihre Lage wurde mündlich überliefert oder in alten Flurkarten verzeichnet. Diese und andere Friedhöfe galten schon immer als “geschontes” Land, das heißt, auf ihnen durfte kein Ackerbau betrieben werden, es fand keine gewinnorientierte Aufforstung statt und Vieh durfte ebenfalls nicht auf ihnen weiden. Daher wurden sie in der Regel eingezäunt. Die Einzäunung und die phosphatreichen Gebeine der Begrabenen begünstigten wiederum das Gedeihen einer besonderen Vegetation, die sich vom Umfeld unterschied.
Der Schonung, Einzäunung und der besonderen Flora ist es zu verdanken, dass sich dieses Areal nach fast 400 Jahren noch immer vom übrigen Wald unterscheidet. „Schwedenfriedhöfe“ haben in der Regel eine Fläche von 1000 bis 1500 Quadratmetern. Situationsbedingt verzichtete man auf Grabbeigaben, zum einen, weil Kleidung und Waffen damals sehr kostbar waren, und zum anderen, weil es sich um christliche Begräbnisstätten handelte. Die „Schweden“ hatten bei der Bevölkerung einen schlechten Ruf; aus diesem Grund wurden solche Friedhöfe oftmals „geschändet“, indem auf ihnen beispielsweise eine Nachnutzung für verendetes Großvieh vorgenommen wurde. Unter diesem Aspekt könnte die Lage dieses Areals hinter einem Kugelfang ebenfalls auf eine symbolische Schändung hindeuten.